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An dieser
Stelle veröffentlichen wir in regelmäßigen Abständen
Originalgeschichten und auch kürzere Buchzitate, die über Inuit,
ihre Kultur und Lebensbedingungen berichten.
Bitte beachten Sie auch die Website
www.inuit-kultur.de
Das kanadische Territorium Nunavut
Seit dem 1. April 1999 besteht der Norden Kanadas aus drei Territorien:
aus dem Yukon Territory im Nordwesten (an das zu den USA gehörende
Alaska grenzend), den übrig gebliebenen Northwest Territories im
mittleren Norden und dem im Nordosten neu gegründeten Nunavut.
Dieses neue Territorium bedeckt rund 20% der Landmasse Kanadas und ist
die Heimat von weniger als 30 000 Menschen, davon etwa 85% Ureinwohnern.
Nunavut bedeutet unser Land, und die seit Jahrtausenden
in der kanadischen Arktis lebenden Inuit haben mit diesem von ihnen
als historisch empfundenen Tag ein jahrzehntelang erstrebtes Ziel erreicht:
Sie übernehmen mit Regierung und Parlament ein eigenes Territorium
in Selbstverwaltung.
Als Hauptstadt
des Territoriums wurde das heute rund 5 000 Einwohner zählende
Iqaluit, Platz der Fische; ausgewählt, eine an der
Frobisher Bay gelegene Siedlung auf Südost-Baffin Island. Im Vorfeld
war jedoch schon entschieden worden, daß das Land der Inuit
dezentral, von verschiedenen Siedlungen aus, verwaltet werden soll,
wegen der Verkehrs- und Wetterverhältnisse ein nicht ganz unproblematisches
Unterfangen, denn Nunavut umfaßt 2 Millionen Quadratkilometer
mit 28 Siedlungen, von denen mehr als die Hälfte weniger als 500
Einwohner zählt.
Das Territorium
erstreckt sich von Süden nach Norden über fast 3 000 Kilometer;
vom nördlichsten Punkt sind es nur noch etwa 700 Kilometer bis
zum geografischen Nordpol. Westöstlich dehnt es sich über
mehr als 2 000 Kilometer aus. Moderne Düsenflugzeuge benötigen
nonstop drei Stunden von Kanadas Hauptstadt Ottawa nach Iqaluit und
nochmals die gleiche Zeit nach Resolute Bay, der nördlichsten Siedlung
mit für Jets geeigneten Start- und Landemöglichkeiten. Die
meisten Siedlungen im Norden verfügen im übrigen nur über
Schotterpisten und sind daher ausschließlich mit kleineren Flugzeugen
unter zuweilen mehrmaligem Umsteigen erreichbar.
Nunavut
stellt für die Inuit, aber auch für ganz Kanada eine ungewöhnliche
Herausforderung dar, und noch ist nicht absehbar, wie sich Chancen und
Risiken verteilen. Es wird Heimat für Inuit und eine weiße
Minderheit sein, und für alle Bevölkerungsgruppen gelten unabhängig
von der ethnischen Zugehörigkeit die in der kanadischen Verfassung
niedergelegten Rechte und Pflichten.
Erst nach
Jahren dürfte sich erweisen, ob die Schaffung eines selbst verwalteten
Territoriums den Inuit wirklich ein besseres Leben beschert hat. Gegenwärtig
liegt die Arbeitslosigkeit bei 20 Prozent und ist damit doppelt so hoch
wie in Gesamtkanada. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung Nunavuts
ist von Sozialhilfe abhängig - das ist die dreifache Quote des
übrigen Kanadas. Die Bevölkerung wächst hier dreimal
rascher als die im übrigen Land; fast 50 Prozent der Bewohner sind
jünger als 20 Jahre (in ganz Kanada durchschnittlich nur 27 Prozent).
Die Kindersterblichkeit ist trotz deutlichen Rückgangs noch immer
doppelt so hoch, die Selbstmordrate etwa sechsmal so hoch wie im Landesdurchschnitt
- Unfälle und Selbstmord sind nach wie vor die Haupttodesursachen.
Wenn auch nach außen hin nicht immer deutlich sichtbar, so ist
der Alkohol- und Drogenmißbrauch (Kokain und Haschisch) doch besorgniserregend.
Die Inuit
erwarten viel, in mancher Hinsicht sogar zu viel von einer Selbstbestimmung
und damit von ihrer jungen Territorialregierung. Den Problemen des Territoriums
entsprechend liegen auf den Gebieten Arbeit und Soziales, Recht, Gesundheit
und Erziehung die größten Herausforderungen. Tradition und
Moderne in Einklang zu bringen, ist die wichtigste Aufgabe, welche die
neue Führung des Territoriums zu lösen hat. Ob das Selbstbestimmungsmodell
Nunavut Erfolg haben wird, hängt wesentlich davon ab, ob es in
absehbarer Zeit überhaupt genügend qualifizierte Inuit geben
wird, die in der Lage sind, Schlüsselaufgaben zu übernehmen.
Der Nachholbedarf in Erziehung und Ausbildung ist noch immens.
Schwierige
Verhältnisse zeichnen sich schon jetzt auf dem Gebiet der Rechtspflege
ab, wo traditionelle Auffassungen der Inuit dem Rechtssystem des kanadischen
Staats gegenüberstehen.
Vor allem
aber hat die Territorialregierung nach Wegen zu suchen, wie sich das
Sozialprodukt des neuen Territoriums wesentlich steigern läßt,
was nicht zuletzt bedeutet, die tief in den Inuit verwurzelte Bindung
an ihre Tradition mit den Anforderungen der Moderne in Einklang zu bringen.
Jagen, Fallenstellen und Fischen dienen im Wesentlichen der eigenen
Bedarfsbefriedigung und tragen bei weitem nicht genügend zur erforderlichen
Wertschöpfung bei. Der Handel mit den dabei gewonnenen höherwertigen
Produkten wie Robbenfellen oder Elfenbein von Narwal und Walroß
unterliegt zudem internationalen Einschränkungen. Der Erlös
aus künstlerischer oder kunsthandwerklicher Arbeit sichert nur
wenigen Menschen ausreichenden Lebensunterhalt, zumal meist große
Familien mit unterhalten werden müssen. Als Zukunft sichernder
Erwerbszweig ist solche Arbeit naturgemäß limitiert. Volkswirtschaftliches
Entwicklungspotential wird vor allem im Erschließen von Rohstoffquellen
und Gewinnen von Bodenschätzen sowie in der Förderung von
Tourismus gesehen. Dabei wissen die Verantwortlichen allerdings auch,
daß sie zur Entwicklung Nunavuts Maßnahmen ergreifen müssen,
deren Auswirkungen auf die arktische Umwelt noch keineswegs abzuschätzen
sind. Nunavut wird noch lange Zeit nicht nur finanzielle Hilfe aus dem
Süden benötigen.
Quelle:
Land
des Großen Bären S.
171 - 173
Inuit, Menschen der
Arktis
Die
Ureinwohner der Polarregionen werden üblicherweise unter dem traditionellen
Begriff Eskimos zusammengefaßt. Diese Bezeichnung bedeutet Rohfleischesser
und stammt von den Algonkin- und Cree-Indianern - mit Blick auf die Ernährungsweise
der Bewohner der arktischen Gebiete. Selbst bezeichnen sich die nordkanadischen
Eskimos jedoch als Inuit (Singularform Inuk), das heißt „Wesen
mit Seele“, also beseelte Menschen. Ihren Anfang nahm die Entwicklung
dieser Menschengruppe beiderseits der Bering-Straße, vor allem in
Alaska. Die Inuit sind eng verwandt mit den Aleuten auf den gleichnamigen
Inseln; auch zu den Tschuktschen im Osten Sibiriens bestehen verwandtschaftliche
Beziehungen. Zwar zeigen die Inuit ein leicht mongolisches Erscheinungsbild,
und die Inuit-Babys weisen bei ihrer Geburt am unteren Ende der Wirbelsäule
einen bläulichen sog. Mongolenfleck auf. Ihre detaillierten Rassenmerkmale
unterscheiden sich jedoch in wesentlichen Einzelheiten, etwa der Schädel-
und Nasenform, von denen der asiatisch-mongolischen und der indianischen
Menschen. Anthropologisch bilden die Inuit demnach einen selbständigen
arktisch-mongolischen Rassenzweig und sind, was oft fälschlich behauptet
wird, keineswegs Indianer.
Das Millionen von Quadratkilometern umfassende Gebiet der Tundren und
der eisigen Küsten im Norden des amerikanischen Kontinents, Sibiriens
und Grönlands wird von insgesamt nur etwa 100 000 Menschen bewohnt;
ihre Sprachen sind eng verwandt. Inuktitut, die Sprache der Menschen,
wird vorzugsweise im Territorium Nunavut gesprochen; sprachwissenschaftlich
hat man zehn Hauptdialekte herausgefunden. Traditionell verfügten
die Inuit über keinerlei Schrift; Inuktitut entwickelte sich in mündlicher
Überlieferung.
Erst seit etwa 100 Jahren haben sich zwei Schreibsysteme allmählich
durchgesetzt: das 1878 durch den anglikanischen Missionar Edmund J. Peck
eingeführte syllabische Schriftzeichensystem und daneben das lateinische
Alphabet in phonetischer Schreibweise.
Jagd und Fischfang waren bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein
für die Inuit lebensnotwendig. Wenn inzwischen auch die Versorgung
mit Nahrungsmitteln aus dem Süden gesichert ist und daher eine
unmittelbare Abhängigkeit von in der Arktis selbst vorhandenen
Nahrungsquellen nicht mehr besteht, so sind doch das Jagen und Fischen
noch immer tief in der Kultur der Inuit verwurzelt.

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Welchen Beruf ein Inuk heute auch immer ausübt und sei er Premierminister
des neuen Inuit-Territoriums Nunavut, er wird jede frie Zeit nutzen,
jagen zu gehen oder Fische zu fangen. Nach wie vor ist ein guter Jäger
in der Gesellschaft hoch angesehen.
Die Jagd auf Robben, vor allem auf Ringelrobben, aber auch auf Walrosse
spielt für die Inuit nach wie vor eine bedeutende wirtschaftliche
Rolle. Das Fleisch von Meeressäugern dient gleichermaßen
der menschlichen Ernährung wie der Fütterung von Schlittenhunden.
Die Felle der Robben sind trotz des auch im Norden ausgedehnten Angebots
moderner Industrietextilien für die Herstellung von Bekleidungsstücken,
in erster Linie von Fäustlingen und Stiefeln, wegen ihrer unübertroffen
guten Wärmeeigenschaften für die Inuit praktisch unersetzlich.
Jagdwaffen sind die traditionellen Harpunen und selbstverständlich
moderne Gewehre. Beides wissen die Inuit außergewöhnlich
geschickt zu handhaben, und als Beobachter ist man immer wieder erstaunt,
wie genau die Schützen mit einem einzigen Schuß aus schwankendem
Boot den fernen Kopf einer Robbe zu treffen oder ein großes, auf
dem Eis liegendes Walroß zu erlegen vermögen.
Quelle:
„Land des Großen Bären“ S. 121 – 122
Traditionelle
Festessen der Inuit
Meist sind es besondere Anlässe, etwa ein Nationalfeiertag oder
hoher Besuch, welche die Inuit zu größeren Festlichkeiten
mit einem traditionellen Festmahl, bei dem native food gereicht wird,
zusammenkommen lassen. Es ist immer eine große Ehre, zumal für
einen Weißen, zu solchen Festen eingeladen zu werden - etwa zu
einem Elders’ Lunch.

Gleiches gilt für Einladungen zu familiären Festen, zum Beispiel
zu einem Walroßessen oder auch zu einem Maktaaq Feast, das zu
Ehren eines jungen Mannes gegeben wird, der seinen ersten Wal, vielleicht
einen Weißwal, erlegt hat. Maktaaq, die Haut von Walen, enthält
eine höhere Konzentration an Vitamin C als Zitrusfrüchte und
war so in früherer Zeit eine unverzichtbare Nahrungsquelle zur
Vorbeugung gegen Skorbut.
Die Inuit verfügten früher weder über Tische noch Stühle,
und in Zelt, Iglu oder Qarmaq (Zelthütte) wurde vom Boden gegessen.
Diese Tradition führte dazu, daß auch heute noch Mahlzeiten
der geschilderten Art auf dem Boden stattfinden, wobei üblicherweise
ein großer Karton als Unterlage dient. Als Besteck verwenden die
Männer ihre Messer, die Frauen das Ulu genannte bogenförmige
Frauenmesser.
Quelle: „Land
des Großen Bären“ S. 143
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